Jeder Musikhörer, der eine Spur von Punk-Sozialisation in sich trägt, hat Tom Schwoll bereits Gitarre spielen hören. Der gebürtige Berliner ist - der Begriff ist etwas abgekaut, aber hier trifft er einfach - ein Urgestein der Punkszene in der Hauptstadt. Ob mit seinen frühen Bands wie Zerstörte Jugend und Manson Youth, für die er damals sogar die Schule abbrach, über seine Zeit als Gründungsmitglied von Jingo de Lunch und als Teilzeit-Gitarrist bei Extrabreit, weiter über die rund 25 Jahre als kompositorische Triebfeder bei Die Skeptiker - bis hin zu seiner aktuellen Punkband Es war Mord: Tom Schwoll ist eine impulsgebende Figur im (meist) deutschsprachigen Punk, seit jener damals in Berlin mit brachialer Kraft einschlug. „All die Bands, in denen ich bislang gespielt habe, waren sehr wichtig für mich, denn sie sind alle Teil meiner persönlichen Entwicklung auf musikalischer Ebene. All diese Bands und Erfahrungen gehören zusammen, all die Menschen, mit denen ich gespielt habe, haben einen Einfluss darauf genommen, als was für ein Musiker ich mich heute verstehe. Nicht alles davon hat zwingend immer auch meinem persönlichen musikalischen Horizont entsprochen, aber auch das kann ja eine wichtige Erfahrung sein.“ Obendrein betrieb er viele Jahre gemeinsam mit Smail, einem weiteren weitreichenden Pfeiler der Berliner Punk- und Hardcore-Szene, das primär auf analoge Live-Recordings spezialisierte Schaltraum Tonstudio - „mit dem Geruch und der Atmosphäre der 50er-Jahre“, wie die beiden selber auf der Homepage des Studios schrieben. Kunden waren unter anderem die Beatsteaks, die Toten Hosen, Mad Sin, Stereo Total, Selig oder Walter Schreifels, die hier eine oder auch mehrere Produktionen durchführten. Betrachtet man Schwolls musikalische Vergangenheit, so besitzt sein erstes Soloprojekt Fleur de Malheur eine zunächst überraschende stilistische Ausprägung. Die Musik darauf ist - im weiteren Sinne - eine amerikanisch geprägte Singer-/Songwriter-Schule, versehen mit einem dunklen Twist. Ein Country mit Ecken, Kanten und manchmal auch einem betont süßen Schlenker. Ein mit Tradition aufgeladener Indie- und Folksound, der zwischen leichtfüßig und schwermütig hin und her wechselt, als sei es das Leichteste auf der Welt. Die Idee von Fleur de Malheur war für Tom aber nun nicht, seine ganz eigene Version von US-Country zu formulieren, also einfach etwas zu adaptieren und im Geiste eines bestimmten Genres zu arbeiten. Im Ergebnis wirken die Songs gleichzeitig unbehauen, aber zu Ende gedacht. Minimalistisch, aber ausgereift. Sehr nah an ihm und trotzdem raumgreifend. Einnehmend, aber in Momenten auch bewusst brüskierend. So entstanden nicht nur die vorliegenden Kompositionen, sondern auch viele der Texte. Texte, die mit dem Hörer etwas machen - sei es nun ein schönes, warmes oder auch mal ein dunkles, bedrohliches Gefühl. Texte, die bewusst auf Deutsch gesungen sind, damit man sich auf direktem Weg mit ihnen auseinandersetzen kann. Und Texte, die von einer Stimme gesungen werden, von der es angesichts ihrer hohen Qualität und eindrücklichen Stimmlage rückblickend schade ist, dass Tom so lange brauchte, um ihr Gehör zu verleihen.
Tracklist:
01. Astronautin
02. Das Drama
03. Oury Jalloh
04. Prieros
05. Der Motor
06. Plastiktüte
07. Lichter
08. Kummerkumpels
09. Motardstraße
10. Der Laufende Motor
11. Schranke